Wie kann nachhaltige Mobilität bereits im Grundschulalter gefördert werden? - Case Study zur Einführung des Konzepts „Walking Bus“ in Hattingen

Vortrag von Frau Dr. Sandra Hohmann, Ruhr-Universität Bochum

Am 29.04. referierte Frau Dr. Sandra Hohmann, von der Ruhr-Universität Bochum zum Thema

Wie kann nachhaltige Mobilität bereits im Grundschulalter gefördert werden? - Case Study zur Einführung des Konzepts „Walking Bus“ in Hattingen

Dr. Sandra Hohmann ist Oberingenieurin am Lehrstuhl für Verkehrswesen der Ruhr-Universität Bochum. Sie ist seit 2022 Vorsitzende des WVV und u.a. Leiterin eines Arbeitskreises sowie Mitarbeiterin in weiteren Arbeitskreisen der FGSV.

Das Projekt das für ein Jahr bis Mai 2024 lief, befasste sich mit den Umständen der Schulwege und den die Motiven vieler Eltern, ihre Kinder nicht zu Fuß zur Schule gehen zu lassen, sondern sie lieber mit dem Auto hinzufahren. Darauf aufbauend wurden Ansätze entwickelt, durch geeignete Entwurfsgestaltung sichere Schulwege zu schaffen, aber auch durch die Arbeit mit Eltern, Schule und Kommune Bewusstsein zu schaffen und eine Form des organisierten, gemeinsamen zu-Fuß-Gehens zur Schule zu erproben.

Dies war ein hochspannender Ansatz, der  nicht nur allgemein auf eine Reduktion des Autoverkehrs zielte, sondern darüber hinaus eine Früherziehung der Kinder im Hinblick auf nachhaltiges Mobilitätsverhalten bewirkt, die sich noch in späteren Jahren und Jahrzehnten auszahlen wird. Das Projekt wurde aus dem Landesprogramm „Vernetzte Mobilität“ mit 95.000.-€ gefördert. Die Form des gemeinsamen organisierten und beaufsichtigten Fußweges zur Schule als „Walking Bus“ existiert zwar schon seit etwa 25 Jahren, sollte aber hier unter Berücksichtigung soziodemographischer Faktoren untersucht werden. Ausgangspunkt ist die wohl gesicherte Erkenntnis, dass sich Kinder gern bewegen und einen Fußweg der Fahrt mit dem Auto zumeist vorziehen.

Zur Vorbereitung war zunächst eine Befragung von Eltern und Kindern – auch der künftigen Schüler(innen)- vorgesehen, darüber hinaus eine Erfassung der Schulstandorte sowie der Wohnstätten. Daraus wurden mögliche Routen mit „Abfahrzeiten“ und „Haltestellen“ entworfen. Ergänzend erfolgte eine Umfeld- und Unfallanalyse und eine Aufforderung an die befragten, „Schwachstellen“ auf den Schulwegen zu benennen.

In Hattingen wird u.a. für Mitteilungen an die Eltern jedem Kind eine Postmappe mitgegeben, in welche auch die Fragebögen in Papierform eingelegt wurden. Bei 2.473 befragten Schüler / Eltern-Haushalten ergab sich eine Rücklaufquote von 38%, wobei etwa die Hälfte der antwortenden auch „Schwachstellen“ benannte.

Hattingen eignete sich hier besonders als Untersuchungsgebiet, weil hier auf kleiner Fläche alle Formen von Siedlungstypen und sozialen Strukturen vorkommen, die sich in den 9 Grundschulen widerspiegeln.

Neben der Organisation von „Walking Bus“ mit Ansprache der Eltern und Kinder war die Schaffung von sicheren Schulwegen in Zusammenarbeit mit der Stadt das zweite Ziel des Projekts.

In der Gruppe der zukünftigen Schüler(innen) gab es einen Rücklauf von 27%, aber ein hohes Interesse  der Eltern (80%), Schulwege zu Fuß zu fördern. 57% wollten „Walking Bus“ nutzen, 47% auch als Begleitung zur Verfügung stehen. Gründe für eine Ablehnung waren u.a. zu lange (ab 1,5 Km) aber auch zu kurze Schulwege.  Jahreszeitliche Unterschiede gab es für das Zu-Fuß-gehen kaum, das Fahrrad sollte dagegen im Winter (Glättegefahr)doch eher durch andere Verkehrsmittel ersetzt werden. Von Seiten der Stadt und der Schulen wird die Nutzung des Fahrrades vor der Fahrradprüfung (4.Schuljahr) nicht gerne gesehen, bis dahin sollte eher mit Rollern gefahren werden.

Neben der Fragebogenaktion wurde das Projekt zusätzlich noch bei den Elternabenden an den Schulen vorgestellt. Bei der Information wurde weniger der ökologische Nutzen ersparter Autofahrten, als vielmehr die zahlreichen praktischen Vorteile, vor allem aber die Entwicklung der Kinder in den Vordergrund gestellt. Kinder, die nicht von ihren Eltern, sondern von einer fremden Person begleitet werden, nehmen die Umgebung und das Verkehrsgeschehen besser wahr. Sie können sich besser orientieren und damit Verkehrssituationen richtig einschätzen.

Im Vergleich zu Kindern, die mit dem „Elterntaxi“ gebracht werden, sind zu Fuß gehende Kinder besser auf den Unterricht fokussiert, weil sie ihr morgendliches Mitteilungsbedürfnis bereits auf dem Schulweg erledigen konnten. Kinder, denen dieser Austausch fehlt, sind dagegen unaufmerksamer und stören häufiger im Unterricht.

Abschließend wurden auch die konkreten Routen für die einzelnen Wohnquartiere vorgestellt.

Im Ergebnis konnten 10% der Schulanfänger neu in Laufgruppen organisiert werden. Eine Evaluierung war ein halbes Jahr nach Abschluss vorgesehen.

Im Projektteil „sichere Schulwege“ wurde zunächst eine Unfallanalyse für die gesamte Stadt erstellt, wobei 8 Unfälle als Schulwegunfälle identifiziert wurden. Als Ursache wurde zumeist „plötzliches Hervortreten hinter einem Hindernis“ benannt. Die von den Eltern und Kindern meist genannten Gefahrenstellen  waren fehlende Querungshilfen, Hindernisse auf dem Gehweg, Engstellen, abgenutzte Schilder oder Fahrbahnmarkierungen, sowie Sichtbehinderungen. Die beantworteten Fragebögen enthielten im Mittel 2 Schwachstellen-Benennungen.

Die 20 meistgenannten Schwachstellen wurden der Stadt zur Prüfung vorgelegt.

Bei der Auswertung unter soziodemographischen Rahmenbedingungen wurde nicht die einzelne Schule eigens bewertet, sondern es konnte auf den vom Land NRW erstellten Schulsozialindex zurückgreifen, welcher in 9 Stufen den Förderbedarf einer Schule festlegt. Die Hattinger Schulen bewegen sich zwischen den Stufen 1 – 8, decken also (erwartungsgemäß) beinahe das gesamte Spektrum ab. Von 2021 – nach 2024 entstand jedoch an allen Schulen eine deutliche Verschlechterung. Hier zeigte sich, dass die Resonanz auf das Projekt an Schulen mit der besten Einstufung am höchsten war und mit zunehmend schlechterer Bewertung der Schule abnahm.

Kriterien waren die Fragebogenrückläufe, Schwachstellenbenennung,  Wege, die nicht mit dem Auto zurückgelegt wurden, und das Interesse an „Walking Bus“. Als wesentliche Gründe für die geringere Akzeptanz an sozial benachteiligten Schulen kommen wohl Sprachbarrieren in Betracht, verbunden mit einer entsprechenden Gruppenbildung unter den Eltern.

Das Projekt schließt mit Handlungsempfehlungen an die Eltern zur Förderung aktiver Mobilität der Kinder sowie an die Kommunen zur Schaffung sicherer Schulwege.

Entscheidend ist aber eine Verstetigung der Ergebnisse auch nach Abschluss des Projekts, es muss sichergestellt werden, dass „Walking Busse“ auch dann fortgeführt werden, wenn die ersten Teilnehmer(innen) aus dem Projekt hinausgewachsen sind und damit auch ihre Eltern als Begleitung ausscheiden. Hier könnten u.a. die Fördervereine für einen kontinuierlichen Informationsfluss sorgen und so rechtzeitig neue Teilnehmer(innen) und Begleitungen für den „Walking Bus“ zu gewinnen.

Der Abschlussbericht zum Projekt kann unter https://www.verkehrswesen.ruhr-uni-bochum.de/lfv/mam/content/bericht_walkingbus.pdf  heruntergeladen werden